CD: Johannes Tonio Kreusch plays Bach

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(Release: 15.07.2022)

Es gibt – weiß Gott – eine Menge Bach-Aufnahmen mit klassischer Gitarre. Und trotzdem ist diese besonders. Sie ist von großer gestalterischer Kraft, so dass man meinen könnte, man begegne hier dem ursächlichen Genius des Barockkomponisten.

Fono Forum

Johannes Tonio Kreusch´s playing is very intense and expressive, with boundless heights and depths, full of sensuousness. With Bach, he has a completely independent idea of ​​musical and formal rigor. What at first seems like nonconformism is really a desire to bring to light new and overlooked aspects of this great music.

Guitar and Lute Magazine

Tracks

LUIS DE MILÁN (c. 1500 – c. 1561)
PAVANA

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685 – 1750)
SUITE BWV 997
Prelude/Fantasia
Fuga
Sarabande
Gigue
Double

JOHANNES TONIO KREUSCH (*1970)
TRANSPARENT MOMENTS

JOHANN SEBASTIAN BACH (1685 – 1750)
SUITE BWV 996
Praeludio (Passaggio) – Presto
Allemande
Courante
Sarabande
Bourrée
Giga

JOHANNES TONIO KREUSCH (*1970)
STARRY SKY

.

Johannes Tonio Kreusch – guitar
All transcriptions by Johannes Tonio Kreusch

über „Johannes Tonio Kreusch Plays Bach“

Mit „Johannes Tonio Kreusch Plays Bach“ schließt sich ein Kreis. Hatte der 51-jährige, der heute zu den renommiertesten klassischen Gitarristen, Gitarren-Didakten und Festivalmachern gehört, als Jugendlicher erst zielgerichtet geübt – „als ich entdeckt hatte, wie wunderschön Bach auf der Gitarre klingt,“ wie er berichtet. Und als er eingangs seiner Karriere zunächst Philosophie studierte, war es wieder Bach, der den damals 24-Jährigen Kreusch zurück an sein Instrument und ins Studium am Salzburger Mozarteum und an die New Yorker Juilliard School führte. „Johannes Tonio Kreusch Plays Ginastera, Bach, Brouwer“ hieß dementsprechend das Debutalbum des damals 23-jährigen Gitarristen.

Was auch andeutet, wohin Kreusch danach ausschwärmte: Südamerikanische und Lateinamerikanische Musik wurden seine Spezialität. Mit seinen wegweisenden Interpretationen von Heitor Villa-Lobos etablierte er sich, „El Manisero“ heißt seine im vergangenen Jahr veröffentlichte CD, die er im Duo mit dem gerade erst verstorbenen, damit ein letztes geniales Erbe hinterlassenden, legendären brasilianischen Kollegen Carlos Barbosa-Lima einspielte. Dazwischen aber wurde seine Bandbreite Zug um Zug größer, Klangfarben-Experimente und Improvisation kamen immer stärker dazu, wie auf seiner von Hermann Hesse inspirierten Fantasie „Siddhartha“.

Da ist es nur folgerichtig, wenn Kreusch nun wieder zu Bach zurückfindet, gilt doch auch für ihn wie es Glenn Gould einmal formulierte: “Meine Liebe zu Bach ließ mich Musiker werden“. Weil die formale wie emotionale Ausdruckskraft der Musik bei Johann Sebastian Bach beginnt und endet. Weil er wie vielleicht kein anderer Komponist auf so verschiedene Weise interpretiert werden kann, wie ein Blick auf die teilweise diametral gegensätzlichen Einspielungen von Gould bis Gulda beweist.

Für Gitarristen ist der Spielraum sogar noch größer. Hat Bach doch logischerweise nichts direkt für dieses erst später entwickelte Instrument schreiben können, und auch für die verwandte Laute finden sich nur wenige Einträge im Bachwerkeverzeichnis. Umso größer ist der Reiz für kreative Gitarristen, sich an Transkriptionen für Bachs magische Musik zu machen. Nicht ohne Grund gehört Bach zu den meistgespielten Komponisten in der klassischen Gitarrenwelt.

Freilich bedeutet Freiheit in der Musik auch Verantwortung. So wie im Jazz ein Arrangement die Grundlage zum freien Zusammenspiel und zur solistischen Entfaltung liefert, so muss man sich auch bei Bach der Intention des Meisters vergewissern, um den eigenen Ausdruck zu finden. Kaum einer nimmt diese Art Genauigkeit und Gründlichkeit ernster als Johannes Tonio Kreusch. „Quellenforschung ist eine wichtige Voraussetzung für eine begründete Transkription“, sagt er. „Durch das Studium der überlieferten Quellen tritt man mit einem Komponisten wie in einen Dialog. Und dies eröffnet meist ungeahnte Horizonte und neue Betrachtungsweisen.“ Seine Einspielungen von Heitor Villa-Lobos setzten Maßstäbe, weil er die Handschriften des Komponisten genauestens unter die Lupe nahm. Und genau so geht er für „Johannes Tonio Kreusch plays Bach“ die Interpretation der beiden Lauten-Suiten BWV 997 und BWV 996 an.

Von beiden Suiten sind keine Autografen, also Noten-Handschriften von Bach selbst überliefert, sondern mehrere, im Falle von BWV 996 beispielsweise drei Quellen. Handschriften vom Bach-Cousin Johann Gottfried Walther etwa, oder Manuskripte von Bach-Schülern. Kreusch verließ sich nicht auf eine Fassung, er zog alle verfügbaren heran, um Bachs musikalischer Idee samt der besten Übertragung auf die Gitarre so nahe wie möglich zu kommen. Einmal den für ihn „richtigen“ Ausdruck erkannt setzt ihn Kreusch mit allem, was ihm zu Gebote steht, um. Gitarrentechniken wie Flageolett, Arpeggio, Cross-String-Ornamentation oder Campanella führen weit über herkömmliche Verzierungstechniken hinaus. Und als wäre Bachs Vielstimmigkeit, seine Fugentechnik und Kontrapunktik nicht schon technisch fordernd genug, setzt Kreusch auch noch eigene Harmonie- und Akkordakzente.

So gelingt es Kreusch, die ganze Klangfülle des Bach-Universums an der Gitarre auferstehen zu lassen, vom Getragenen und Unterkühlten des „deutschen Tanzes“ (was Allemande ja bedeutet) über das Heiter-Beschwingte etwa einer Courante bis zu den berauschenden Effekten rasenden Tempos. Nicht zuletzt auch die sakrale bis düstere Dramatik, die auch in Bachs Musik steckt.

Doch Johannes Tonio Kreusch geht auf diesem Album über eine reine „ideale“ Bach-Interpretation weit hinaus. So beginnt er zunächst mit einer von Luis de Milán komponierten „Pavane“: War doch die Pavane der Vorläufer der Allemande, mit der Suiten zu Bachs Zeit üblicherweise begannen. Bach selbst hat ein solches Vorspiel bereits selbst eingeführt, indem er seine Suiten zumeist – wie auch bei diese beiden Lauten-Suiten – mit einem Präludium beginnen ließ. Und ganz im Geist des großen Improvisators, der Bach eben auch war („der erste Jazzer“, wie gerne gesagt wird), fügt Kreusch beiden Suiten eine eigene Improvisation an. Keine wohlfeilen Bach-Variationen, sondern sehr eigene, moderne Stücke. „Transparent Moments“ etwa ist eine impressionistische Fantasie, die die Nähe zu moderner Folk-Musik nicht scheut. Und in „Starry Sky“ bricht sich seriell ein fließender Gedanke Bahn, der das Album ausklingen lässt.

„Johannes Tonio Kreusch Plays Bach“, dieses Album steht dank der Gewissenhaftigkeit, Intelligenz und Virtuosität der Interpretation für die Zeitlosigkeit und Unvergänglichkeit, für die Aktualität und Zukunft der Musik von Johann Sebastian Bach. Und wer sich nicht für Bedeutung und Einordnung interessiert, der kann hier einfach nur ihre Schönheit in Vollendung genießen.

Oliver Hochkeppel

Weitere Informationen finden Sie auch unter:
https://www.glm.de/kuenstler/johannes-tonio-kreusch/

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